Verflüssigen, verstören, verändern:

was ist systemische therapie?

Systemische Psychotherapie interessiert sich für die Beziehungen und Interaktionen aller Personen, die an der Entstehung und an der Aufrechterhaltung eines Problems beteiligt sind. Im Mittelpunkt steht somit nicht der Klient als „Besitzer“ eines Problems, das bestimmte Beschwerden verursacht, sondern es wird der Kontext betrachtet, in dem er sich damit bewegt. Dies kann eine Familie sein, aber auch jedes andere soziale Netzwerk, beispielsweise Organisationen und Institutionen. Während der Therapiesitzungen können alle beteiligten Personen anwesend sein, nur einige oder auch nur der sogenannte „Indexpatient“ alleine. Systemische Therapie ist eine wissenschaftlich und sozialrechtlich anerkannte Behandlungsmethode.

 

was bedeuten die begriffe aus der systemischen therapie?

Das Genogramm: stellt soziale Beziehungen grafisch nach Art eines Stammbaumes dar. Beziehungsmuster, Netzwerke, familiäre Rituale und Traditionen, wichtige Lebensereignisse und andere für die Therapie relevante Informationen werden auf diese Art visualisiert.

 

Hausaufgaben: werden individuell an das aktuelle Thema angepasst. Sie sollen das Bewusstsein für Selbstwirksamkeit beim Klienten stärken oder dazu ermuntern, Veränderungen im Alltag auszuprobieren. Beispiel: „Bitte schreiben Sie bis zur nächsten Sitzung ein Tagebuch und beobachten Sie, welche Aspekte Ihres Lebens so bleiben sollen wie sie sind.“

 

Lösungsorientierung: geht davon aus, dass der Klient alle Ressourcen zur Lösung seiner Anliegen bereits in sich trägt und diese lediglich aktiviert werden müssen. Lösungsorientierte Therapie konzentriert sich konsequent auf die Lösungsstrategie, nicht auf die Analyse des Problems.

 

Metaphern, Parabeln, Geschichten: verdeutlichen das Problemkonstrukt des Klienten. Sie helfen, seinem Anliegen auf einer emotionalen Ebene zu begegnen und Widerstände zu umgehen. Beispiel: „Gespräche mit meinem Vater sind eine Welle, die mich hinterrücks überrollt, während ich friedlich im seichten Wasser plantsche.“

 

Narrative Ansätze: gehen davon aus, dass sich das, was der Klient als Wirklichkeit ansieht, durch die Art und Weise ausdrückt, wie er über seine Erlebnisse redet: in bestimmten sprachlichen Wendungen, in Geschichten und Glaubenssätzen. Beispiel: „Ins unserer Familie war es üblich, sich als Opfer unabänderlicher Geschehnisse anzusehen. Die Welt ist böse und du kannst nichts tun.“

 

Neutralität: beschreibt die sachliche Distanz und manchmal auch Respektlosigkeit des Therapeuten gegenüber den Themen seiner Klienten, wobei er ihnen gleichzeitig viel Empathie entgegenbringt. Seine Haltung: Klar in der Sache, wertschätzend zum Menschen.

 

Paradoxe Intervention: hat ihren Ursprung in der Logotherapie Viktor E. Frankls. Problematisches Verhalten wird explizit verschrieben, um automatisiertes Verhalten, Erwartungsängste und sich selbst erfüllende Prophezeiungen zu verändern. Beispiel: Ein Klient mit Schlafstörungen erlegt sich auf: „Ich muss wach bleiben!“ anstatt sich zu sagen: „Heute kann ich bestimmt wieder nicht einschlafen.“

 

Positives Konnotieren: würdigt bestehende Umstände und arbeitet positive Aspekte von problematischen Sachverhalten heraus. Beispiel (bei einem streitenden Paar): „Offensichtlich ist es Ihnen wichtig, Ihre Standpunkte zu diesem Thema darzulegen.“

 

Das Reflecting Team: beugt der vorschnellen Festlegung des Therapeuten auf bestimmte Therapiestrategien vor. Mehrere Mitglieder eines Beratungsteams beobachten den Verlauf einer Therapiesitzung und reflektieren zu einem festgelegten Zeitpunkt während der Sitzung ihre Beobachtungen und Hypothesen.

 

Reframing: setzt einen bestimmten Sachverhalt in einen neuen Rahmen und lässt ihn so in einem anderen Licht erscheinen. Reframing ermöglicht somit die Veränderung von Perspektiven und Interpretationen. Beispiel (zu einem Klienten mit Widerständen gegen eine Veränderung): „Sie zeigen eine enorme Willensstärke dabei, sich so zu verhalten, und machen es damit Ihrer Mutter deutlich leichter.“

 

Skalierungsfragen: verdeutlichen Unterschiede und Fortschritte und liefern dadurch wichtige Informationen für therapeutische Ansätze. Beispiel: „Wie würden Sie den Zustand Ihres Bruders heute auf einer Skala von 1 bis 10 bewerten?“

 

Die Skulptur: visualisiert bestimmte Familienbeziehungen und Interaktionen. Sie ermöglicht dem Klienten somit, diese unmittelbar zu erleben. Stellvertreter der beteiligten Personen werden im Raum angeordnet zu einer Momentaufnahme (einem Standbild) der Interaktion, sie nehmen eine bestimmte Haltung und Gestik ein und formulieren evtl. bestimmte Schlüsselsätze.

 

Zirkuläre Fragen: beziehen sich auf den vermuteten Standpunkt dritter Personen, die während des Gespräches auch anwesend sein können. Beispiel: „Was denken Sie, was in Ihrer Mutter vorgeht, wenn Ihr Bruder depressives Verhalten zeigt?“ Ziel ist ein Perspektivwechsel und das sogenannte „Verflüssigen“ von starren Interaktionsmustern innerhalb eines Systems. Zirkuläre Fragen umgehen die Vorstellung, dass Probleme aufgrund einer eindeutigen Verknüpfung von Ursache und Wirkung entstehen („Weil mein Bruder krank ist, kann ich nicht von zu Hause ausziehen.“)

 

kurze geschichte der systemischen therapie

Die systemische Therapie geht nicht, wie andere bekannte Verfahren, auf einen einzelnen Begründer zurück. Viele Persönlichkeiten haben auf die theoretischen Grundlagen wie auch auf die Weiterentwicklung in der Praxis Einfluss genommen. Die Wurzeln sind in der Sozialarbeit und der Familientherapie zu finden, beispielsweise in der Fragestellung, wie in Familien und anderen sozialen Systemen „Wirklichkeit“ erzeugt wird. Als wichtige Protagonistin der Familientherapie gilt die US-Amerikanerin Virginia Satir (1916–1988). 1959 gründete sie zusammen mit Don Jackson und Jules Riskin in Palo Alto das Mental Research Institute, das auch mit namhaften Therapeuten und Wissenschaftlern wie Jay Haley, Paul Watzlawick und Gregory Bateson zusammenarbeitete. Bekanntheit erlangte die Palo-Alto-Gruppe unter anderem durch Studien zur Schizophrenie im sozialen Zusammenhang und die Entwicklung der Double-Bind-Theorie, die davon ausgeht, dass ungünstige, inkongruente familiäre Kommunikationsmuster die Entstehung von Schizophrenie begünstigen können. In den 70er Jahren waren darüber hinaus die familientherapeutischen Konzepte des Argentiniers Salvador Minuchin (1921–2017) sehr verbreitet. In Italien beeinflussten Mara Selvini Palazzoli (1916–1999) und ihre Kollegen in den 70er Jahren mit dem „Mailänder Modell“ viele darauffolgende Konzepte zur systemischen Therapie. Begriffe wie Neutralität, Zirkularität, positive Konnotationen und die Idee des Reflecting Team haben hier ihren Ursprung. Auch in Deutschland gibt es viele Strömungen systemischer Therapieformen. Die „Heidelberger Schule“, verbunden mit Namen wie Helm Stierlin, Fritz B. Simon und Gunthard Weber, fußt auf psychoanalytischem Denken. Sie interessiert sich für generationenübergreifende Prozesse wie Familienmythen, Werte und Loyalitäten und integriert auch lösungsorientierte und narrative Ansätze.

 

Mehr zu meinem Angebot ...