„So tun als ob“ in der Psychotherapie? Das klingt erst einmal verrückt und widersprüchlich. Heißt es nicht eigentlich, dass wir – Klienten wie Therapeuten – so authentisch wie möglich sein sollten? Für die Gestaltung tragfähiger menschlicher Begegnungen gilt dies ganz sicher. Aber wie ist es im Umgang mit unseren Problemen, bei der Suche nach Veränderungsmöglichkeiten? Wäre es da nicht interessant, einmal neue Seiten an uns kennenzulernen, uns flexibler zu verhalten, neue Perspektiven zu gewinnen und mit Neugier zu beobachten, welche Möglichkeiten sich daraus ergeben? Die ausgetretenen Pfade unseres Denkens, Handelns und Fühlens zu verlassen? Ressourcen in uns zu entdecken allein über unsere Vorstellungskraft?
Der bekannte Aphorismus „Fake it until you make it“ ist Grundlage vieler therapeutischer Strategien, von denen ich in diesem Tutorial einige vorstellen will, mit denen ich selbst gute Erfahrungen gemacht habe. Sie machen sich zunutze, dass unser Gehirn nicht unterscheidet zwischen tatsächlich Erlebtem und der inneren Vorstellung davon. So wie eine Zeugenaussage vor Gericht niemals objektiv einen Tathergang wiedergeben kann, so sind auch unsere eigenen Darstellungen über Erlebtes immer von unseren subjektiven Bewertungen geprägt. Wenn wir mit der Theorie des Konstruktivismus zugrunde legen, dass jeder Mensch seine eigene Realität entwirft aufgrund von individuellen Erfahrungen, persönlichen Interpretationen und kultureller Prägung – dann bedeutet dies, wir können selbst darüber entscheiden, was wir über unsere Erlebnisse denken und fühlen. Was wir dafür brauchen, sind Offenheit, Neugier und Experimentierfreude.
Menschen lernen nicht nur durch eigene Erfahrungen, sondern auch durch das Beobachten und Nachahmen von etwas, was andere Menschen tun. Als Kinder übernehmen wir bestimmtes Verhalten, Reaktionen, Werte und Überzeugungen von unseren Bezugspersonen. Als Auszubildende lernen wir von den erfahrenen Kollegen, indem wir nachmachen, was sie uns zeigen. In der Wirtschaft vergleichen wir die eigenen Unternehmensprozesse mit denen der Wettbewerber, um Verbesserungsmöglichkeiten zu identifizieren.
Im NLP spricht man von „modellieren“, wenn es darum geht, Handlungsstrategien anderer Coaches und Therapeuten durch genaues Beobachten zu einer eigenen therapeutischen Strategie weiterzuentwickeln. Die Begründer des NLP, Richard Bandler und John Grinder, haben in den 1970er Jahren die Kommunikationsweise berühmter Therapeuten ihrer Zeit (z.B. Milton Erickson, Virginia Satir) beobachtet, analysiert und in besonders pragmatische Coaching-Methoden transkribiert. So entstanden beispielsweise das heute sehr verbreitete „Milton-Modell der Sprache“ oder das „Verhandeln zwischen den Teilen“ nach Virginia Satir.
Wir modellieren auch dann, wenn wir uns an Vorbildern orientieren. Dies können reale Personen sein, unsere Eltern und Großeltern, Popstars, geschichtliche Persönlichkeiten, berühmte Künstler. Wir können uns aber auch fiktive Helden zum Vorbild nehmen. Die Protagonisten von Märchen oder von Romanen, die uns inspiriert haben. In schwierigen Situationen können wir uns fragen, wie sie an unserer Stelle gehandelt hätten.
Wann haben Sie zuletzt „modelliert“? Und wen oder was?
Das Autogene Training ist eine sehr verbreitete und gut erforschte Entspannungsmethode, bei der wir uns selbst mit Hilfe von Suggestionen und formelhaften Sätzen in eine milde Trance versetzen. Wenn wir bereit sind, uns auf die suggestiven Formeln einzulassen, wenn wir auf die Wirkung des Trainings vertrauen und uns hingeben können, ohne uns anzustrengen, können wir allein durch die Kraft unserer Vorstellung Vorgänge unseres vegetativen Nervensystems beeinflussen und auch körperliche Beschwerden lindern. Allein durch das Denken des formelhaften Satzes „mein Arm ist schwer, ganz schwer“ und die Konzentration auf diesen Körperteil können wir eine Lockerung unserer Muskeln bewirken. Durch den Satz „mein Arm ist warm, ganz warm“ entspannen sich unsere Blutgefäße. Der Satz „meine Stirn ist kühl, angenehm kühl“ kann unser Wohlbefinden und unsere Konzentration verbessern, ohne dass dafür eine kalte Kompresse zum Einsatz kommen muss.
Ein regelmäßiges Training ist wichtige Voraussetzung für eine langfristige Wirkung, aber probieren Sie es doch einfach einmal aus … Hier finden Sie die wichtigsten Schritte und Formeln des Autogenen Trainings in einer kurzen Übersicht.
Steve de Shazer, einer der Begründer der lösungsorientierten Kurzzeittherapie, kreierte die oft zitierte und variierte Wunder-Frage. Die geht ungefähr so: „Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgen auf, und das Problem, das Sie haben, ist gelöst. Was hat sich verändert? Woran werden Sie es merken? Wer in Ihrer Umgebung wird es als erstes merken und woran?“ Die Wunder-Frage lenkt unsere Aufmerksamkeit auf unser zukünftiges Ziel und auf unsere eigenen Möglichkeiten, dies zu erreichen. In der systemischen Therapie geht man davon aus, dass jeder Mensch, der in der Lage ist, sich mit einem Problem zu befassen, auch über die Potenziale verfügt, es zu lösen. Der italienische Psychologe Giorgio Nardone beschreibt in seinem Buch „Pirouetten im Supermarkt“, er habe einem Klienten, der fest davon überzeugt war, niemand möge ihn, aufgetragen, ab sofort einfach so zu tun, als sei er beliebt und jeder möge ihn.
Probieren Sie es einmal aus: Welches Ziel wollen Sie erreichen? Welches Problem würden Sie gerne lösen … stellen Sie sich vor, die Veränderung hat sich bereits eingestellt … was tun sie anders als vorher? Was sagen Sie? Wie fühlen Sie sich? Was ist Ihre Körperhaltung, ihr Gesichtsausdruck? Welche Gedanken kommen hinzu? Fangen Sie mit der Veränderung an, die am einfachsten zu realisieren ist, und fügen Sie schrittweise weitere hinzu.
Manchmal quälen uns bestimmte körperliche Symptome, Migräne, Magenprobleme oder Nackenschmerzen. In der systemischen Therapie würdigt man solche Beschwerden zunächst und fragt danach, welchen Nutzen sie möglicherweise haben könnten. Vielleicht gewähren sie Schonung durch die Familie oder eine Rückzugsmöglichkeit? Sich den Erwartungen der Umgebung entziehen und sich fallen lassen können? Vertreter des systemischen Ansatzes empfehlen, doch in bestimmten Abständen einfach so zu tun, als hätte man die entsprechenden Symptome, um den Nutzen zu erlangen, ohne die Beschwerden ertragen zu müssen. Dies klingt erst einmal respektlos. Aber manchmal bessern sich nach einiger Zeit die tatsächlichen Beschwerden oder man erobert sich die Entscheidungsfreiheit über das eigene Wohlbefinden zurück.
Ich hoffe, dass Ihnen dieser Text Inspirationen dazu gegeben hat, wie Sie sich mit Hilfe Ihrer Vorstellungskraft auf die Spur Ihrer eigenen Möglichkeiten begeben und Veränderungen selbst in die Hand nehmen können.
Der „Kleine König“ in einer Geschichte von Hedwig Munck macht es uns vor. Hier eine Nacherzählung der Bilderbuchgeschichte:
Der kleine König hatte wie jeder Mensch gute und schlechte Tage. Zusätzlich hatte er jedoch zwei Kronen, eine goldene mit bunten Edelsteinen für die gute Laune und eine silberne mit schwarzen Edelsteinen für die schlechte. Jeden Morgen entschied er sich, welche Krone ihm der Kammerdiener bringen sollte, und das gesamte Königreich wusste Bescheid, wie der kleine König heute gestimmt war. Denn das hatte Auswirkungen auch auf ihren Tag: An Tagen mit schlechter Laune blieb das königliche Büro geschlossen und auch die Küche blieb kalt. Stattdessen gab es Pommes von der Imbissbude, denn der kleine König hätte an jedem Essen etwas auszusetzen gehabt. Der Gärtner schnitt an solchen Tagen keine Blumen, denn der kleine König hätte sie sowieso nicht gewürdigt. Eines Tages geschah etwas Merkwürdiges. Der kleine König wachte mit besonders guter Laune auf, aber weil er noch schlaftrunken war, setzte er aus Versehen die silberne Krone auf seinen Kopf. Und er wunderte sich, dass es kein warmes Frühstücksei gab und keinen duftenden Kakao. Er begann, sich fürchterlich zu ärgern und seine schlechte Laune steigerte sich über den Tag immer mehr, bis er schließlich früh schlafen ging und dabei feststellte, dass er am Morgen die falsche Krone aufgezogen hatte. Der kleine König überlegte, ob nicht vielleicht die Krone Schuld war an seinem furchtbaren Tag, und ihm kam eine Idee. Drei Tage später wachte er mit furchtbar schlechter Laune auf, setzte aber die goldene Gute-Laune-Krone auf sein Haupt. Somit bekam er ein wunderbares königliches Frühstück, was seine Laune sofort verbesserte. Der Gärtner brachte ihm einen wunderbaren Blumenstrauß, zu Mittag gab es Eis zum Nachtisch. Am Abend hatte er immer noch ganz wunderbare Laune. Zuerst überlegte der kleine König, einfach die silberne Krone ganz im Meer zu versenken. Dann aber kam er auf die Idee, dass es hin und wieder gut sein könnte, eine Schlechte-Laune-Krone aufzusetzen, und er entschied, es sich jeden Morgen gut zu überlegen, welche er aufsetzen will.
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